Der Landespräventionstag Sachsen-Anhalt am 06.11.2024 stand unter dem Motto „Demokratie schützen – Prävention zur Stärkung der demokratischen Resilienz“. Die Veranstaltung, eröffnet durch Staatssekretär Klaus Zimmermann, thematisierte die nötige Stärkung und Resilienz demokratischer Werte angesichts aktueller politischer Herausforderungen und Angriffe auf die Demokratie, wie sie von Dr. Benjamin Höhne [mehr erfahren] (TU Chemnitz) und dem Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt [Verfassungsschutzbericht S.-A. 2023] in ihren Beiträgen umrissen wurden. Dr. Höhne ging dabei u.a. auf die „Normalisierungsstrategie“ bei gleichzeitigen „Signalen nach ultrarechts“ rechtspopulistischer Parteien ein, der Verfassungsschutz nannte alarmierende Zahlen: mehr als 73% des extremistischen Personenpotentials in Sachsen-Anhalt geht von Rechtsextremen, sowie Reichsbürgern aus. Die Impulse lieferten den Rahmen: Prävention ist dringend notwendig, um Demokratie zu schützen.
Im Fokus der Veranstaltung standen verschiedene Foren, in denen unterschiedliche Aspekte der Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung und Extremismusprävention beleuchtet wurden [Programm, sowie Vorträge und Foren] und nach Eingangsimpulsen in den Austausch gegangen wurde. Der Nachmittag bot Raum für Austausch und Vernetzung im „Markt der Möglichkeiten“ und eine abschließende Publikumsdiskussion, die die Erkenntnisse der Foren zusammenführte. Aus MOBILEE-Perspektive waren dabei insbesondere Forum 1 und Forum 5 interessant:
- Forum 1 behandelte die Demokratieförderung im organisierten Sport. Die Referent:innen Sophie Herrmann (Ressortleitung Sport und Gesellschaft) und Robert Gräfe (Programmleiter „Integration durch Sport“ (IdS) vom Landessportbund (LSB) Sachsen-Anhalt e.V. zeigten auf, wie Sport als integratives Element wirken und demokratische Werte stärken kann und welche Programme und Projekte vom LSB hierfür umgesetzt werden. Fast 20% der Einwohner:innen von Sachsen-Anhalt sind Mitglied im organisierten Sport, entsprechend ist dieser auch ein Querschnitt der Gesellschaft und es kommt zu Fällen von Diskriminierung, Extremismus, sowie psychischer und sexualisierter Gewalt, was auch in der Diskussion thematisiert wurde. Für solche Fälle hat der LSB neben seiner Präventionsarbeit eine anonyme Meldestelle, sodass hier Vorfälle vertraulich und individuell weiterbearbeitet, bzw. extern vermittelt werden können. Ein weiterer Diskussionspunkt war das vermeintliche politische Neutralitätsgebot. Hier wurde nochmal deutlich gemacht: demokratiefeindlichen Haltungen darf und muss auch mit einer klaren Haltung entgegnet werden, politische Neutralität ist hier für (Sport-)Vereine nicht zwingend (siehe dazu auch folgendes Rechtsgutachten: Parteipolitische Neutralität von Sportvereinen – Rechtsgutachten Prof. Dr. Nolte. Es wurde in der Diskussion aber auch klar, dass insbesondere im ländlichen Raum enorme Herausforderungen und Belastungen hinsichtlich Diskriminierung bestehen und der organisierte Sport nicht alle Probleme lösen kann und es u.a. einer professionellen Vernetzung und Kooperation mit Sozialer Arbeit, Psycholog:innen und anderen Akteur:innen braucht.
- Forum 5 widmete sich dem Thema „Rechtsextremismus in ländlichen Räumen.“ Cathleen Hoffmann und Mirko Wolff von „Miteinander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt e.V.“ stellten Erkenntnisse aus dem Modellprojekt „Landheld*innen“ vor und diskutierten Ansätze, wie ländliche Gemeinschaften gegen rechtsextreme Einflüsse widerstandsfähiger gemacht werden können und stellten dabei ihre Erkenntnisse für Gelingensfaktoren vor. Zielgruppe waren dabei sowohl Kinder und Jugendliche als auch Fachkräfte. Enorm wichtig waren für ein Gelingen waren u.a. Partizipation und Bedürfnisorientierung, Nachhaltigkeit und Niedrigschwelligkeit. So eröffneten bspw. bewegungsorientierte Zugänge wie u.a. Yoga überhaupt erst Vertrauen und Zugang zur Zielgruppe.
Was wir von dieser Veranstaltung mitnehmen:
- Trotz der vorhandenen guten Ansätze und aufgelegten Programme zeigt sich sowohl in den Diskussionsbeiträgen als auch in den Ergebnissen der Studie „SicherImSport“ von 2022, dass Gewalterfahrungen und Diskriminierung im organisierten Sport keine Einzelfälle sind. Viele Kinder und Jugendliche aber auch viele Trainer:innen erleben Erniedrigungen, Bedrohungen und Beschimpfungen. Es braucht professionelle Vernetzung und Unterstützung, sowie spezifisch pädagogische Einbettung, um nachhaltig präventiv Erfolge erzielen zu können.
- Niedrigschwelligkeit und Bedürfnisorientierung sind wichtige Gelingensfaktoren, um erfolgreiche präventive Arbeit leisten zu können. Sport und Bewegung können in der Sozialen Arbeit dabei hilfreiche Zugänge darstellen.
- Es bedarf einer klaren politischen Haltung für eine demokratische, weltoffene Gesellschaft in der Projektarbeit und im Alltag. Diese sollte stärker durch große Institutionen und Organisationen gestützt und unterstützt werden. Rechtsgutachten und Handreichungen/Tools können hierfür hilfreich sein und geben Sicherheit.
- Soziale Arbeit mit Sport und Bewegung kann einen wichtigen Präventionsbeitrag leisten. Hierfür braucht es aber auch u.a. finanzielle Unterstützung und Nachhaltigkeit! Siehe dazu auch weiter unten der Beitrag vom 11. Dt. Präventionstag 2006 von Gunter Pilz („Sport und Prävention – Wie viel Soziale Arbeit, Prävention kann der organisierte Sport leisten? Einführende Gedanken zum 11. Deutschen Präventionstag“), der auch knapp 20 Jahre später nichts an Aktualität eingebüßt hat.
Weitergehende Informationen zu genannten Organisationen und Programmen:
- Referat „Sport und Gesellschaft“ des Landessportbundes Sachsen-Anhalt: Das Referat „Sport und Gesellschaft“ des Landessportbundes Sachsen-Anhalt stärkt demokratische und integrative Werte im organisierten Sport durch vier zentrale Projekte:
- Demokratieförderung („Menschlichkeit und Toleranz im Sport“ – MuT): Dieses Projekt stärkt die demokratischen Strukturen im Sport, wirkt extremistischen Tendenzen entgegen und fördert den Aufbau gesellschaftlicher Netzwerke, insbesondere im ländlichen Raum.
- Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt („Gemeinsam STARK“): Mit diesem Angebot wird gegen homosexuellen- und trans*feindliche sowie sexistische Haltungen im Sport vorgegangen. Es unterstützt die Förderung eines vielfältigen Miteinanders und schafft eine zertifizierte Struktur zur Unterstützung der Mitglieder.
- Integration durch Sport: Das Programm zielt auf die Integration von Menschen mit Migrationsgeschichte durch Sport ab, mit besonderem Fokus auf Mädchen und Frauen, Erwachsene, ältere Menschen und sozial benachteiligte Gruppen. Das Programm „Integration durch Sport“ (IDS) im Deutschen Olympischen Sportbund fördert seit über 30 Jahren das Miteinander der Menschen in Deutschland und wird von allen 16 Landessportbünden umgesetzt.
- Event-Inklusionsmanager*innen im Sport: Das Projekt bietet inklusive Beratung für Verbände, Vereine und Sportler*innen und fördert die Entwicklung inklusiver Sportangebote, um die Teilhabe für Menschen mit Behinderung zu verbessern.
(mehr erfahren)
- Landheld*innen: Seit 2020 unterstützt das Modellprojekt (sozial-)pädagogische Fachkräfte dabei, Radikalisierungstendenzen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu erkennen und anzugehen. Der Schwerpunkt liegt auf Demokratiefeindlichkeit und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Dabei entwickelt das Projekt in einem partizipativen Prozess Methoden und Handlungsstrategien für die speziellen Bedürfnisse ländlicher Regionen wie der Altmark im nördlichen Sachsen-Anhalt, wo es auch mit sich radikalisierenden Jugendlichen arbeitet. (mehr erfahren)
Weiterführend:
- Sport und Prävention – Wie viel Soziale Arbeit, Prävention kann der organisierte Sport leisten? Einführende Gedanken zum 11. Deutschen Präventionstag.
- Bereits 2006 war Gunter A. Pilz auf dem bundesweiten 11. Präventionstag mit einem Impuls vertreten, der nach wie vor nicht an Aktualität verloren hat. Gunter A. Pilz analysiert die Rolle des Sports als Mittel Sozialer Arbeit und Prävention. Er betont die positiven Effekte des Sports, wie die Förderung von Toleranz, Regelakzeptanz und sozialem Verhalten, und verweist darauf, dass Sport eine kostengünstige Methode zur Gewalt- und Suchtprävention darstellen kann. Dabei wird der Sport als Raum für körperliche, persönliche und soziale Erfahrungen betrachtet, was ihn besonders für präventive Arbeit geeignet macht. Gleichzeitig betont Pilz die Notwendigkeit einer kritischen Sichtweise: Sport birgt auch Gefahren, wie etwa die Verherrlichung von Wettbewerb und Körperkult, was zu negativen Auswirkungen wie Doping, Essstörungen oder gewalttätigem Verhalten führen kann. Präventive Effekte des Sports stellen sich nicht automatisch ein; es bedarf einer gezielten und qualitativ hochwertigen pädagogischen Gestaltung der sportlichen Angebote. Für eine erfolgreiche präventive Arbeit im Sport empfiehlt Pilz die Schaffung sozialer Netzwerke und eine engere Kooperation zwischen Sportvereinen und sozialen Einrichtungen. So könnten sportliche Aktivitäten besser als Mittel zur sozialen Integration und Prävention genutzt werden. Ein zentraler Appell des Textes ist, dass Präventionsarbeit im Sport kontinuierlich, nachhaltig und mit spezifisch pädagogischer Einbettung gestaltet werden sollte, um langfristig positive Effekte zu erzielen. Den vollständigen Originalbeitrag gibt es hier: mehr erfahren.
- Gewaltprävention und Sport. Drei Projektevaluationen (Sabine Behn/Albrecht Lüter (Hrsg.))
- Die Studie von 2015 betrachtet drei Projekte zur Gewaltprävention im Berliner Sport. Das Projekt „Bleib Cool am Pool“ wirkt im Freibad durch Konfliktlotsen gewaltpräventiv, indem es Spannungen zwischen Badegästen früh erkennt und entschärft. Ein zweites Projekt, „MitternachtsSport“, bietet Jugendlichen in Berlin-Spandau Freizeitmöglichkeiten in den Abendstunden, um gewaltgeneigte Gelegenheiten zu reduzieren. Das dritte Projekt, „Diversity und Vielfalt im Amateurfußball“, zielt auf Antidiskriminierung und Konfliktprävention im Fußball durch den Berliner Fußballverband. Die Evaluationen zeigen, dass Sport in öffentlichen Räumen mit pädagogischer Einbettung eine wichtige Rolle für Prävention spielen kann, wobei langfristige Effekte durch strukturelle Zusammenarbeit und gezielte Projektgestaltung erzielt werden. Die vollständige Studie gibt es hier: mehr erfahren.
Die Tagungsdokumentation wird nach Veröffentlichung in KW 46 hier verlinkt.